Aramäische Christen sind in der Türkei eine kleine Minderheit. Unter der Regierung Erdogans scheinen sie verstärkt Repressionen ausgesetzt zu sein. Das zu äußern, traut sich aber – wohl aus Angst – niemand.
Von Marko Rösseler, WDR
Es schneit heftig an diesem Sonntag im Tur Abdin. In 1000 Metern Höhe an einem Hang des mächtigen Kalkstein-Gebirges liegt Mardin. Unser türkischer Kameramann macht sich Sorgen: Ob am Abend die Straße noch befahrbar sein wird? Wir sind hier, um eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt zu besuchen.
„Tur Abdin“ bedeutet „Berg der Knechte“. Gemeint sind die „Knechte Gottes“, die hier über viele Jahrhunderte lebten: aramäische Christen. Die Wurzeln ihrer Sprache reichen zurück bis in biblische Zeiten – Jesus selbst soll Aramäisch gesprochen haben. In der Türkei war die Sprache lange verboten. Heute gilt Aramäisch als vom Aussterben bedroht. Schlimmer noch: Das Christentum selbst droht im Tur Abdin einzugehen. Kritiker sagen, daran trage die Regierung Erdogan eine Mitschuld.
„Hier in Mardin leben noch etwa 100 christliche Familien“, erklärt eine ältere Dame aus der Gemeinde. „80 Familien direkt aus Mardin und 20, die aus Syrien stammen.“ Die syrische Grenze liegt nur wenige Kilometer entfernt. Vor Jahren sollen in diesem Gebiet noch Tausende Aramäer-Familien gelebt haben.
Geblieben sind vor allem die Alten. Die Kirchenglocke läutet, durch den Schnee quälen sie sich über die rutschigen Steinstufen den Berg hinauf. Die Luft in der kleinen, alten Kirche ist von Weihrauch erfüllt. Im rechten Kirchenschiff beten die Männer, links die Frauen. Getrennt nach Geschlechtern ist auch das Teetrinken nach dem Gottesdienst.
Frage in die Männer-Runde: „Hat sich ihr Leben unter der Regierung Erdogan verändert?“ Erst Schweigen, dann antwortet Gabriyel Akyüz, der Pfarrer der Gemeinde: „Das ist ein politisches Thema. Wir beschäftigen uns nicht mit politischen Themen, sondern mit geistlichen. Diese Welt ist vergänglich. Auch ein Sultanat geht vorüber.“ Jeder weitere Versuch ist zwecklos. Deutlicher über Politik will sich niemand äußern – nicht hinter vorgehaltener Hand und erst recht nicht vor einer Kamera.
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